Diakonische Arbeit -  Von den Anfängen bis zur Gegenwart


Bis 1945


Pfarrer Wilhelm Quistorp gründete 1865 nach dem tragischen Tod von zweien seiner Kinder sowohl das „Hänsel- und Gretel-Stift“ zur Betreuung von Waisenkindern als auch das „Bugenhagenstift“, in dem zunächst Präparanden (Lehrer) ausgebildet wurden. Jenes – zunächst eigenständige – „Hänsel- und Gretel-Stift“ ging später völlig im Bugenhagenstift auf. Am 4. September 1872 wurde dem Bugenhagenstift durch Verfügung des preußischen Königs schließlich die Rechtsfähigkeit zuerkannt.


Persönlichkeiten



Mühsam und bescheiden waren die Anfänge. Es fehlte zu Beginn an einem geeigneten Grundstück, einem zweckmäßigen Gebäude, ausgebildetem Personal und - besonders bedrückend - am nötigen Geld. Neben einer guten Idee besaß der Initiator, der Ducherower Ortspastor Wilhelm Quistorp, nur eines: einen festen Glauben an Gottes Hilfe, verbunden mit starker Überzeugung für seinen Auftrag sowie großen Fleiß und schonungslose Einsatzbereitschaft. Von Johann Hinrich Wichern in Hamburg waren ihm die Augen für die Not der Menschen geöffnet worden, so dass er nicht predigen konnte, ohne seinen Worten auch Taten folgen zu lassen.

Das alte Grundbuch dokumentiert die finanziellen Nöte, aber auch manche Hilfsbereitschaft. Zu den Freunden der damaligen Gründung gehörte die „Pommersche Provincial Genoßenschaft des St. Johanniter Ordens vertreten durch deßen Commendator", die ein Darlehen von 2.000 Talern gewährte. Eine weitere Förderung erfuhr die „Präparandenanstalt Bugenhagenstift" durch Kuratoriumsmitglieder aus den Reihen der Johanniterritter.


Die noch vorhandenen ersten Jahresberichte zeigen, welche Anstrengungen in den Anfängen nötig waren, um eine dauerhafte Arbeit zu verrichten. Die gefällige Form einer romantischen Darstellungsweise kann nicht über die Schwere der Anstrengungen hinwegtäuschen:


„Vom Bahnhof Ducherow biegen wir in die große breite Landstraße, welche, von Ueckermünde herkommend, früher nach Demmin und Friedland führte, am Kruge jenseits des Dorfes die Berlin Stralsunder Chaussee schneidet und vom nahen Wald her durch die gesegneten Felder des Gutes und der Bauernschaft zum Dorfe sich hinzieht.

Sieh, gleich vorn an, links der Straße, siehst Du einen größtenteils mit Weizen und Roggen bestandenen, über 40 Morgen großen Ackerplan. Der gehört uns seit einem Jahr für den Preis von nahezu 4.000 Thalern. Da siehst Du gleich unsern Statthalter, einen rüstigen Hinterpommer, der sich bei Königgrätz sein Ehrenkreuz geholt, mit dem jungen Hengst und der schwarzbraunen Stute das Stück zur Gersten und Kleesaat bereiten, während die beiden Knechte mit den anderen 4 Pferden das wohlgedüngte Kartoffelland bepflügen und der Waisenvater mit einem der dienenden Brüder und einer flinken Schar von jungen Saatkartoffeln einlegen...
Der Anfang zu einer Baumschule ist auch schon gemacht. Ein lieber alter emeritierter Schulmeister hier in der Nähe hat uns mehrere hundert schöne veredelte Hochstämme und eine Parthie Wildlinge geschenkt, welche diesen Frühling gepflanzt sind. Dort hinten, vom Buchdruckereigebäude gegen die Nordwinde geschützt, stehen sie. Den freundlichen Zaun aber, aus den vielen tausend Bohnenstangen über Kreuz zusammengefügt, hat uns einer unserer getreuen Nachbarn, der Herr Landschaftsrath von Schwerin auf Neuendorf und Kurtshagen aus der Forst dadrüben geschenkt. Die Nägel dazu lieferte ein befreundeter Eisenwarenhändler aus Stettin. Die Maulbeer und Rothtannenhecken aber, welche künftig den Zaun überflüssig machen sollen, schenkten der Stettiner Seidenbau Verein und der Herr Graf zu Schwerinsburg, endlich den hohen Bretterzaun, der den Anstaltshof nach Westen von der breiten, Viehtrift trennt, hat die Freigebigkeit der Stettiner Holzhändler bereitwillig dargeboten."


Der hier beschriebene Acker sowie der Garten mit der Bepflanzung bildete die gesamte wirtschaftliche Existenzgrundlage des Bugenhagenstifts. Regelmäßige Zuwendungen oder gar Pflegesätze wie heute gab es nicht. So war das Unternehmen trotz des hoffnungsvollen Beginns nach wenigen Jahren verschuldet, weil die Betriebskosten nicht gedeckt werden konnten. Unter großen Entbehrungen existierten Waisenhaus und Präparandenanstalt für künftige Lehrer weiter bis 1914. Dann benutzte man die Gebäude als Lazarett. In den Jahren zwischen den Weltkriegen übernahmen Diakonissen des Mutterhauses Bethanien Stettin-Neu Torney die Verantwortung für die Weiterentwicklung des inzwischen modernisierungsbedürftigen Bugenhagenstifts. Gemeinsam mit den ebenfalls in Stettin-Neu Torney tätigen Johanniter-Schwestern – die letzte in Bethanien Ducherow wurde 1984 zu Grabe getragen – prägten sie als Lebens-, Glaubens- und Dienstgemeinschaft bis ins 20ste Jahrhundert die Arbeit in Ducherow.


Das ehemalige Mutterhaus in Stettin-Neu Torney

Ehemalige Mutterhaus

1866 errichtete der 1849 gegründete Verein für Innere Mission in Pommern in Neu Torney den nach seiner Stifterin Ernestine Krüger benannten Ernestinenhof (heute ul. Wawrzyniaka 8, Szczecin) auf einem Grundstück, das Kommerzienrat Johannes Quistorp – Bruder des oben genannten Ducherower Pastors Wilhelm Quistorp – zur Verfügung stellte.
Die Einrichtung sollte Dienstmädchen Schutz und Unterkommen geben.
Hinzu kamen eine Kleinkinderschule, ein Mägdebildungsschule und ein Wirtschaftspensionat.
Emma Linden, eine Diakonisse der Kaiserswerther Diakonie übernahm die Leitung und es bestand der Plan, ein Diakonissen- und Krankenhaus anzugliedern.
Dieser Plan konnte 1869 verwirklicht werden. Nach zahlreichen anderen Stiftungen stattete Johannes Quistorp die zu gründende Anstalt 1869 mit einem Grundstück von 20 Morgen und einem darauf im Bau befindlichen Hauptgebäude aus. Am 13. Oktober 1869 zogen die ersten sieben Diakonissen in das neuerrichtete Mutterhaus. Am 1. Advent, dem 28. November 1869, konnte Generalsuperintendent Albert Sigismund Jaspis die Einweihung vornehmen. 1873 erhielt die Anstalt durch königlichen Erlass den Status einer Körperschaft. Die Arbeit wuchs ständig. Auf dem Gelände zwischen der Alleestraße und der Kreckower Straße (heute ul. Mickiewicza, Szczecin) wurden weitere Häuser gebaut, von denen viele heute noch erhalten sind.
1893 wirkten 250 Diakonissen in Bethanien und an 70 verschiedenen Stationen –vor allem als Gemeindeschwestern – in der gesamten Provinz Pommern, in der Provinz Westpreußen und in Mecklenburg. 1911 gehörten 450 Schwestern zum Mutterhaus Bethanien Stettin.
Die Evakuierung der Diakonissenanstalt Bethanien begann im Frühjahr 1945. Nach Kriegsschluss ging ein Teil der Schwestern wieder nach Stettin zurück. Noch im selben Jahr mussten sie Stettin wieder verlassen.


Die Entwicklung nach 1945

Postkarte

Die Bethanienschwestern waren nach Kriegsende zerstreut (so ging eine größere Anzahl nach Westberlin in das dortige Johannesstift, Feierabendschwestern wurden von 1945 bis in die fünfziger Jahre im Schloß Putbus auf Rügen von ihren Mitschwestern versorgt), der überwiegende Teil war nach Ducherow geflohen.
Dorthin wurden auch die geretteten Habseligkeiten des Mutterhauses (wie das Diakonissenbesteck, Taufschale, Abendmahlsgeschirr, Siegel u.ä.) gebracht. Pläne, ein neues Mutterhaus an anderen Orten zu gründen, scheiterten – u.a. weil die ehemalige DDR die Einwilligung versagte. So blieb nur das Bugenhagenstift in Ducherow als neue Herberge für die Diakonissen des Stettiner Bethanien-Mutterhauses übrig. Das Provisorium wurde dauerhaft zum Mutterhaus. Das Haus selbst war belegt und viel zu klein. In den nachfolgenden Jahren konnten schlichte, einstöckige Bauten errichtet werden. Mit Hilfe von kirchlichen Zuwendungen aus Westdeutschland gelang es, weitere Ausbauten und Renovierungen vorzunehmen. In der Johanna-Odebrecht-Stiftung in Greifswald wurde 1947 das Krankenhaus Bethanien eingerichtet und von Diakonissen aus Ducherow bewirtschaftet. Bis 1988 gehörte es zum Evangelischen Diakoniewerk Bethanien Ducherow. Ein größeres modernes Gebäude für geistig behinderte Menschen kam in Ducherow hinzu.
Nach der Wiedervereinigung konnte die diakonische Arbeit – nicht zuletzt durch die Unterstützung des Johanniterordens – nochmals wesentlich erweitert werden. Ein Altenheim wurde errichtet und eine Werkstatt für behinderte Menschen entstand, die (mit vier weiteren Standorten) in die Region expandierte.

Juristisch bestanden Bugenhagenstift und Diakonissenanstalt als selbständige Körperschaften nach 1945 nebeneinander. Beide Kuratorien wurden miteinander verschmolzen und vertraten beide Einrichtungen in Personalunion. Die Leitung von Bugenhagenstift und Diakonissenanstalt oblag nach Kaiserswerther Modell Vorsteher und Oberin. Am 25. Februar 1980 wurden das Bugenhagenstift und die Diakonissenanstalt Bethanien zum Evangelischen Diakoniewerk Bethanien Ducherow zusammengeführt. Da es jedoch nur noch vereinzelt Nachwuchs an Diakonissen gab, musste der Dienst zunehmend von anderen Kräften übernommen werden. Das Amt der Oberin entfiel 1983.

Der Pfarrer und Historiker Günther Ott beschreibt die Entwicklung nach Kriegsende sehr anschaulich:


„Es dauerte Jahre, bis die zerstreute Schwesternschaft wieder gesammelt werden konnte. Das Ducherower Bugenhagenstift gewährte Obdach und ist im Laufe der Zeit den 200 Schwestern, von denen 1949 etwa 90 Feierabendschwestern waren, zum Mutterhaus geworden, trotz des Mangels an Raum und des permanenten Provisoriums. Es taten sich neue Arbeitsfelder auf, und bereits 1949 waren bereits 14 Probeschwestern in der Ausbildung. Im Grunde war zu keiner Zeit, auch in der schwersten des Exodus nicht, der Dienst beendet. Es war wohl für alle Schwestern die eigentliche Probezeit.
Das letzte Vierteljahrhundert dieses Säkulums, das wir im Blick auf die Geschichte des Diakonissen Mutterhauses Bethanien in wenigen Umrissen zu zeichnen versucht haben, hat wie uns allen so auch in besonderer Weise dieser Schwesternschaft viele Fragen aufgegeben, die zu beantworten uns oft kaum möglich scheint. Ganz gewiss nicht die schlechteste Antwort geben Bethaniens Schwestern dadurch, dass sie schlicht und treu den Dienst am Nächsten tun, zu dem sie sich berufen wissen und zu dem sie andere rufen, damit die Arbeit weitergeht, in einer Weise, die sich bewährt hat, und auch mit neuen Formen, die es zu erproben gilt.“
Ott, Günther: Hundert Jahre Diakonissen-Mutterhaus Bethanien. In: Amtsblatt des Evangelischen Konsistoriums in Greifswald 3/1970, S.25f.

Heute

Stiftung Heute

Am Anfang steht eine Idee.

Verwirklicht wird diese durch das Engagement von Menschen, die sich Gott und Ihrem Nächsten verbunden fühlen, ja ihren Blick nicht verschließen für die politischen, ökonomischen und sozialen Probleme ihrer Zeit.

Aus dieser Motivation taten und tun Menschen im Evangelischen Diakoniwerk Bethanien Ducherow ihren Dienst.

Aus dieser Motivation haben es materielle Zuwendungen von Menschen möglich gemacht, diesen Dienst zu tun und ermöglichen unsere Arbeit bis heute. Einzelne Wohltäter, aber vor allem der Johanniterorden waren wichtige Mitstreiter und sind es bis heute.


Die heute gültige Satzung beschreibt die Aufgabe der Stiftung darin, „durch geeignete Maßnahmen und Einrichtungen den Dienst der christlichen Liebe auszurichten und damit in Wort und Tat das Evangelium von Jesus Christus zu bezeugen.“

Insofern ist das Evangelische Diakoniewerk Bethanien Ducherow bis heute …


Mitglied im Diakonischen Werk Mecklenburg-Vorpommern e.V. Diakonie Mecklenburg-Vorpommern
Mitglied im Kaiserswerther Verband Kaiserswerther Verband

freundschaftlich verbunden mit der
Pommerschen Genossenschaft des Johanniterordens
Johanniterordens

Die heute im Evangelischen Diakoniewerk Bethanien Ducherow arbeitenden Menschen verstehen sich als Dienstgemeinschaft und stehen damit in der Tradition der Diakonissen von einst. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich das biblische Leitwort: „Gott spricht: Ich will heben und tragen und erretten“ (Jesaja 46,4) zueigen gemacht.

In unserer 150-jährigen Geschichte hat sich die Form der Arbeit zwar gewandelt, unserem Auftrag der Hinwendung zum Menschen sind wir jedoch treu geblieben.